«Es sind die Erinnerungen, die den Schmuck erst kostbar machen.»
Und das ist sie auch heute, fünfzehn Jahre später, wenn sie das feine Goldkettchen wieder einmal sachte aus ihrem Schatzkästchen nimmt, hochhebt, um es nichts als anzusehen. Mit einem Blick auf den Anhänger erwachen tausende Erinnerungen. «Mit den Jahren hat das Schmuckstück für mich immer mehr an Bedeutung gewonnen, es ist so etwas wie heilig geworden», sagt Maja Halle, Redaktionsleiterin bei MIS MAGAZIN. Tragen tut sie es selten. Weil die Kette etwas zu kurz ist. Weil es schwer wiegt um den Hals. Nicht was die Gramme angeht, nein. Aber die Gefühle.
Ihre Bedeutung sieht man den Erbstücken nicht an, wirken sie doch meist alt, altbacken, angekratzt. Ihr Wert definiert sich über die emotionalen Geschichten aus der Vergangenheit, die sie erzählen. Denn diese sind meist Teil der eigenen Geschichte. Ideeller und materieller Wert liegen oft weiter auseinander als der nördlichste und der südlichste Punkt der Weltkugel. Daran vermögen auch die roten Flyer mit fetten Aufschriften wie «Altgold-Ankauf – sofort Bargeld» nichts zu ändern, die uns dann und wann vom Briefkastenschlitz aus anschreien.
Von aussen, wenn es geschlossen ist, sieht das, was Madeleine Arnold um den Hals trägt, aus wie eine Taschenuhr aus vergangenen Zeiten. Öffnet man vorsichtig mit zwei Fingerspitzen den silbernen Deckel, kommt ein Brillant-Ringlein zum Vorschein. Es ist der Verlobungsring ihrer Mutter, geborgen gebettet auf zartrosafarbenem Wildleder, umrahmt mit alter Spitze. Seit ihre Mutter vor sieben Jahre verstarb, fristete der Ring in einem Schächtelchen ein friedliches, aber einsames Dasein. «Ich wollte ihn tragen, aber es fühlte sich einfach nicht richtig an», beschreibt Madeleine. Ihn verändern, das wäre auch nicht infrage gekommen. Mutter trug den Verlobungsring zeit ihres Lebens am Finger. Immer und immer. Auch, als der Ehering dazukam. «Er gehörte zu ihr. Deshalb musste er bleiben, wie er ist.» Madeleine sehnte sich danach, ihn auf eine andere Art zu tragen. Dann kam Sandra Elsig aus Thun ins Spiel: Aus antiken Taschenuhren, die sie überall auf der Welt in Brockenhäusern und auf Flohmärkten aufspürt, gestaltet sie liebevoll neue Unikate. Auf der einen Seite der Taschenuhr, die schätzungsweise aus dem Jahr 1920 stammt, hat sie den Ring eingeknüpft, auf der anderen ein Foto von Madeleines Eltern aufgedruckt, unter dem das Verlobungsdatum handgeschrieben steht: 17. August 1958. Ein Tag, den Madeleines Vater nie vergisst: Mit einem frischen Blumenstrauss machte er sich auf zu seiner Schwiegermutter in spe und bat um die Hand der Tochter. Seine Hände zitterten leicht vor Aufregung. Sie gab ihm den Segen, schliesslich «sei er ein guter Mann und könne gut jassen.» Diese Anekdote erfuhr Madeleine erst jetzt, da sie sich mit ihrem Vater über ihre Pläne mit Mamas Ring unterhielt. Dadurch hat das eingravierte Blumenbouquet, das den einen Deckel der Taschenuhr ziert, unverhofft eine Bedeutung bekommen. Wenn Madeleine mit einer Freundin ausgeht, wenn sie mit dem Hund durch den Wald spaziert, wenn sie mit ihrer Familie bruncht, immer dann trägt sie nun den Verlobungsring nahe beim Herzen. Für andere nicht sichtbar. «Es ist schade, wenn Erbstücke in der Schublade bleiben», findet Madeleine, guckt erneut in das Innere der Taschenuhr hinein und lächelt weich. «Durch das Tragen sind die Erinnerungen präsenter. Ich denke häufiger an sie.»