Ab dem 13. Juli hängt der Himmel über Gstaad wieder voller Geigen – aber nicht nur, denn das «Menuhin Festival» stimmt vielseitige Töne an.
«Pomp in Music» lautet der paukende Titel der 61. Ausgabe des «Gstaad Menuhin Festival». Das Saanenland schwelgt in Melodien, wenn an elf verschiedenen Spielorten – vom Festival-Zelt bis zur Kirche – rund 80 Konzerte stattfinden. Das diesjährige Motto werfe Fragen auf, stellt Christoph Müller fest. Seit 2002 ist er künstlerischer Leiter des Festivals mit langer Tradition. «Es drückt den epochenübergreifenden Reichtum, die Schönheit und Grosszügigkeit in der Musik aus», fasst er zusammen, was er in seinem Vorwort zum Festival auf mehreren Seiten ausformuliert. «Das unerklärliche Grosse in Musik, Bildern oder Bauwerken zu erfassen, wird aber erst dann greifbar und sinnerfüllend, wenn Menschen ermöglicht wird, an diesem in Kunst verkörperten Reichtum teilzuhaben.» Andere teilhaben zu lassen, das dürfte ganz im Sinn des Festivalgründers Yehudi Menuhin sein, denn der Wundergeiger ist Wohltäter über seine Lebenszeit hinaus.

Andreas Ottensamer, neuer König der Klarinette, tritt heuer mit den
Ausnahmetalenten Nicolas Altstaedt und Dejan Lazic auf. ©Lars Borges
«Musik ist für alle da.» Lord Yehudi Menuhin
Musiker und
Menschenfreund
Beispielsweise ermöglicht seine spendenfinanzierte Organisation «Live music now» jenen musikalische Erlebnisse, die sonst nicht am Kulturleben teilnehmen können, wie Menschen mit Behinderung oder
Demenzerkrankung. «Menuhin hatte eine Mission, er stellte das Menschliche über alles», erzählt Müller, der den Virtuosen zwar an Konzerten erlebte, ihn aber nie persönlich getroffen hat. «Er war
eine einnehmende Persönlichkeit, sein Charisma und seine Begeisterung waren ansteckend.» Er habe etwas auf der Welt hinterlassen wollen, was ihm schliesslich gelungen ist. Er gründete
Musikschulen, Orchester und sein «eigenes» Festival im Berner Oberland, wo er sich Mitte der 50er- Jahre mit seiner Familie niederliess. Hier entdeckte der Weltenbürger aus New York das
Landleben, fasziniert von der Urkraft der Berge und der Kulturen, die hier zusammentreffen. Angeregt vom damaligen Kurdirektor Paul Valentin, bereicherte der Meistermusiker und Macher ab der
Sommersaison 1957 Gstaad mit Konzerten. 45 Jahre später und drei Jahre nach dem Tod des Jahrhundertgeigers positioniert Christoph Müller das Festival neu und lässt die Werte Menuhins aufleben: Er
schafft nachhaltige künstlerische Gefässe und erweitert das Programmspektrum, wohlklingend für einen breiten Hörerkreis, vom lokalen Landwirt bis zum Multimillionär aus Paris. Mutiger und jünger
ist das Programm geworden – gespickt mit Geheimtipps, motiviert dadurch, verschiedenste Musikgeschmäcker anzusprechen. Es bleibt zwar immer noch ein Kammermusik-Festival, aber nicht nur. Der
Anklang gibt ihm Recht: Rund 26 000 Zuhörerinnen und Zuhörer besuchten die letztjährige Jubiläumsausgabe, ein neuer Rekord und das zum dritten Mal infolge.
Konzertcellist und
Kulturmanager
«Die Programmpunkte zu komponieren, ist ein fortwährender Prozess über Jahre. Schon jetzt lege ich erste Beiträge für 2018, 2019 fest – und während des Festivals bekomme ich Impulse von den
Künstlern selbst», erläutert Müller einen wesentlichen Teil seiner Arbeit. Christoph Müller träumte schon als Jugendlicher davon, professionell Musik zu machen, und studierte Violoncello an der
Musikhochschule in Bern. Dann stieg er ins Musikmanagement ein: «Begeistert von all den Facetten, hat es mich nicht mehr losgelassen – es war Learning by Doing.» Dabei schrieb er das «Doing»
stets gross, organisierte beispielsweise die Event-Reihe «Swiss Classics» im Luzerner KKL. Trotz solidem Netzwerk und ersten Erfahrungen, habe man gewissermassen auf ein «Greenhorn» vertraut,
als er 2002 Intendant in Gstaad wurde, sagt er lächelnd. Bis vor rund sieben Jahren spielte er Cello am Kammerorchester Basel, dann stellte er sein Instrument in eine Ecke, als hätte er vor
lauter Musik im Leben etwas Distanz gebraucht. Seit zwei, drei Jahren musiziert er hin und wieder zum Plausch. Heute ist er an Konzerten Lauscher, statt Akteur: «Den fabelhaften Konzerten
beizuwohnen, ist ein Lohn für die geleistete Arbeit», sagt er, wobei Vorfreude mitschwingt. Wenn am 13. Juli die norwegische Violinistin Vilde Frang das 61. Festival eröffnet, sitzt er im
Publikum – wie bei allen weiteren rund 80 Konzerten.
«Stars und Newcomer auf einen Streich.»
Wilde Vilde und Alanga in
Aida
Das Eröffnungskonzert findet in der Kirche von Saanen statt, die wie eine Geige sei, so hat sie Yehudi Menuhin mal beschrieben, «alles aus Holz, es klingt fantastisch». Wie Menuhin begann auch
Vilde Frang mit vier Jahren das Geigenspiel, angeregt durch ihren Vater. Wäre es nach ihrem Kopf gegangen, sässe sie heute am Kontrabass. Mit 4 spielte sie Mozart, mit 10 Bach, mit 14 Strauss und
Mahler. Mit 17 verliess sie ihre Heimat, um sich in Deutschland musikalisch weiterzuentwickeln, unter anderem als Stipendiatin unter den Fittichen von Anne-Sophie Mutter. Auch sie beehrt das
diesjährige Klassikfestival. Ein klingender Name, der auch ausserhalb der Klassikszene hallt. Die deutsche Violinistin, einst Muse des Dirigenten Herbert von Karajan, zeigt im Gstaader
Festival-Zelt ihr aussergewöhnliches Soloprogramm. In dieser Symphonie an Highlights gilt es auch, «Aida» von Verdi herauszustreichen, konzertant aufgeführt mit Tenor Roberto Alanga. Im Takt
lassen sich weitere Topacts nennen: Cecilia Bartoli führt zum ersten Mal ihr neues Album mit Sol Gabetta auf, Isabelle Faust und Alexander Melnikov spielen in der atmosphärischen Kirche
Vers-l’Eglise Beethovens «Frühlingssonate» und Blockflötist Maurice Steger zeigt in Saanen sein bewundernswertes Können. «Ausserdem bringen wir unsere Academy auf ein neues Level», verkündet
Christoph Müller im Hinblick auf das hochkarätige Programm.
Virtuoser Dirigent und virtuell
Dabeisein
Der holländische Star-Dirigent Jaap van Zweden übernimmt die Leitung des Ausbildungsprojekts «Gstaad Conducting Academy» und des «Gstaad Festival Orchestra». Als wäre das Orchestrieren eines
ganzen Festivals nicht genug, läuft ein weiteres Marathonprojekt Müllers über die Zielgerade: das «Gstaad Digital Festival». Ab Juni 2017 werden Smartphone, TV und Tablet zur Bühne: Via
Webplattform oder «Swisscom TV»-App bietet das Festival ausgewählte Konzertmitschnitte, Live-Streams und informative Video-Clips. Traditionelles Klassikpublikum trifft auf Digital Natives –
Kulturen vereinen à la 2017, im Einklang mit dem Geist des legendären Gründervaters.
61. Gstaad Menuhin
Festival
Das traditionsreiche Festival findet vom 13. Juli bis 2. September in und
um Gstaad statt.
5 Fragen an Christoph
Müller,
Intendant Gstaad Menuhin
Festival
1. Womit beschäftigen Sie sich
zurzeit?
Ich kümmere mich u. a. um die Programm-Feinplanung, Künstlerverträge, Sponsorengelder,
Fragen rund um Marketing, Interviews und Rahmenprogramm.
2. Machen Sie selbst noch
Musik?
Nach einer längeren Pause spiele ich ab und zu Cello zum Plausch. Ich kann nur empfehlen,
in jungen Jahren ein Instrument zu erlernen – man verlernt es nie.
3. Was bedeutet das
Leitmotiv?
Mit «Pomp in Music» fokussieren wir den musikalischen Reichtum in Barock, Klassik und Romantik,
aber auch den Prunk, z. B. in der Oper «Aida».
4. Was bezwecken Sie mit der neuen
Plattform?
Das «Gstaad Digital Festival», das ab Juni online ist, fasst die Schönheit des Festivals in Bilder,
bietet Zusatzinfos und Konzerte – live oder zum Nachschauen.
5. Welche Konzerte besuchen
Sie?
Ich versuche, an allen 80 Konzerten teilzunehmen. Damit zolle ich den Künstlern Respekt.
Zudem ist es eine Art Lohn für die vorausgegangene Organisationsarbeit.